Die Logik des Krieges
Der Iran hat vor rund zwei Wochen Israel erstmals direkt angegriffen, nachdem die Israelis zuvor ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus in Schutt und Asche gelegt hatten und dabei hochrangige Militärs töteten. Nun folgte der Gegenschlag, obwohl die gesamte Welt fast gebettelt hatte, dies nicht zu tun, um eine weitere Eskalation und einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern.
Mit völligem Unverständnis sah ich im Fernsehen Diskussionsrunden mit Analysten, den sogenannten „Experten“, die allesamt einen Gegenschlag der Israelis für unausweichlich einstuften, weil man doch so eine Aggression nicht einfach hinnehmen könne.
Die Frage für die „Experten“ war nur das Wie und Wann des Gegenschlags. „Angemessen“ war dabei so ein Schlagwort. Alle sprachen, dass die Gefahr extrem groß sei, die Kontrolle zu verlieren und dass eine Spirale der Eskalation in Gang gesetzt werden könnte.
Aber bitte, kann mir wer erklären, warum ein Gegenschlag, eine Revanche, „unabdingbar“ sein muss? In Israel ist nicht einmal großer Schaden angerichtet worden, weil ein hochspezialisiertes Raketenabwehrsystem perfekt funktionierte. Aber die Möglichkeit, den Iranern sozusagen nur die lange Nase zu drehen und Ätsch zu sagen, ihr könnt uns eh nichts anhaben, ist wohl keine Option. Es muss geantwortet werden, militärisch, mit Drohnen und Bomben – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Um biblisch zu bleiben, kommt mir dazu die Bergpredigt in den Sinn. Für nicht Bibelfeste, das ist jener Teil im Neuen Testament, wo Jesus den Satz sagt: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Dieser christliche Leitgedanke hat sich aber ohnehin nicht wirklich durchgesetzt, sonst gäbe es nicht seit Tausenden Jahren Kriege, Verwüstung und unermessliches Leid statt Gewaltverzicht und Frieden. Warum das so ist, bleibt mir unverständlich. Eine im Vorfeld der EU-Wahl europaweit durchgeführte Umfrage ergab, dass an oberster Stelle der Wünsche jener nach Frieden ist. Also unpopulär wäre eine auf Pazifismus ausgelegte Politik nicht.
Aber vielleicht könnten die heutigen Staatenlenker aus Beispielen wie dem Ersten Weltkrieg „lernen“. Dort wurde mit den Schüssen auf den Thronfolger eine beispiellose Spirale der Gewalt losgetreten. Bündnistreue um Bündnistreue steigerte sich die Eskalation, bis die ganze Welt in Flammen stand. Und die Expansionsaggression Hitler-Deutschlands könnte sich auch der Kreml-Herr als negatives Beispiel nehmen, da solche Eroberungen sehr selten gut ausgehen, wobei „gut“ ein fast zynisches Wort im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist. Aber wie sagte schon Ingeborg Bachmann? „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“
Mir graut bei dem Gedanken daran, an welch explosivem Pulverfass, das der Nahe Osten ja eindeutig ist, die Lunte brennt. Israel ist eine Atommacht und der Iran wird es bald sein, wenn er es nicht ohnehin schon ist. Religiöse Fundamentalisten wie die Ajatollahs in Teheran oder die orthodoxen Hardliner in Jerusalem an den atomaren Knöpfen verheißen nichts Gutes. Und dennoch vollzieht sich wie auf Schienen die alte Logik des Krieges: „Wie du mir, so ich dir!“
Fritz Stummer