Impfdesaster
Die österreichische Innenpolitik ist aktuell ein einziges Scherbengericht – mit einer Bandbreite von berechtigter, mitunter sogar konstruktiver Kritik bis hin zu kicklschen Wutausbrüchen, die jedem US-amerikanischen Verschwörungstheoretiker mit Alu-Haube zur Ehre gereichen würden. Die Parlamentsdebatten verfolgend, werden die Schulen, laut Neos, auf Distance-Learning getrimmt, nicht etwa um das Infektionsrisiko zu minimieren, sondern aus einem Justamentstandpunkt der Regierung heraus, nach dem Motto: „Ätsch – wir wollen einfach nicht!“ Und laut blauem Klubchef ist das Maskentragen sowieso völlig sinnlos, die Coronazahlen in bester trumpscher Art einfach „Fake“ und die Regierung bösmeinende Volksfeinde. Ein Freund von mir hat dazu den Begriff „Fundamental-Opportunist“ geprägt.
Aber schauen wir doch nur ein wenig über unseren nationalen Tellerrand. Gibt es irgend ein europäisches Land, wo es besser läuft, das wir uns als Vorbild nehmen könnten oder sollten? Werden nicht von Portugal bis Schweden, von Irland bis auf den Balkan die Lockdowns verlängert und verschärft? Hat nicht Noch-Kanzlerin Angela Merkel schon von Ostern gesprochen, bis wir frühestens mit Erleichterungen rechnen können? Nein, diese Corona-Wunderländer gibt es nicht!
Das heißt aber nicht, dass wir alles, was die Regierung macht, kritiklos hinnehmen sollen. Ein Kritikpunkt für mich ist das offensichtliche Versagen bei der Corona-Impfung. Vor bald einem Jahr war rasch klar, dass nur eine Impfung letztlich der Schlüssel in der Pandemiebekämpfung sein wird. Mantraartig wurde auf das Impfen verwiesen, verbunden mit der Hoffnung auf eine rasche Entwicklung eines Impfstoffs. Und diese gelang überraschend schnell! (Was bei Impfskeptikern als Argument, die Sicherheit des Serums betreffend, genutzt wird.) Jetzt ist der Impfstoff da, wenn auch in derzeit nur überschaubarer Menge, aber immerhin. Nur wer jetzt glaubt, die Pläne lägen fertig in den ministeriellen Schubladen, wie der Inhalt dieser Impfdosen möglichst rasch in den Oberarm von Herrn und Frau Österreicher injiziert werden kann, der irrt gewaltig. Wer hinderte das Gesundheitsministerium unter der Annahme „Der Impfstoff ist da!“, bereits im Sommer vergangenen Jahres einen Impfplan zu entwickeln? Hätte man nicht da schon klären können, ob das die Armee macht oder welche Rolle es spielen könnte. Wird es Impfzentren geben, welche Rolle hat das Rote Kreuz oder wird der niedergelassene Bereich der Ärzteschaft herangezogen? Jetzt wo Pfizer-BioNTech liefert, beginnen erst die Diskussionen, welche Rolle die Länder übernehmen sollen, welche beim Bund bleiben.
Auch wenn ich Gesundheitsminister Anschober ob seiner ruhigen und besonnenen Art schätze, diesen Vorwurf muss er sich gefallen lassen, dass er nicht wirklich Herr über die Beamtenschaft in seinem Ressort zu sein scheint. Vor meinem geistigen Auge sehe ich direkt, wie sich die Ministerialräte entspannt im Schreibtischsessel zurücklehnen und ihren grünen Rudi ins Leere laufen lassen.
By the way und weil ich gerade das Bundesheer angesprochen habe, dieses ist wohl ein Gewinner in der Corona-Krise, ebenso wie die Bundesländer, wenn sie jetzt einen guten Job machen und die ihnen vom Bund eingebrockte Impf-Suppe effizient auslöffeln. Das Bundesheer hat schon bei den Testungen gezeigt, dass es etwas von Logistik versteht, von strukturiertem Vorgehen, ganz abseits von bewaffneter Landesverteidigung und Luftraumüberwachung. Und die Länder haben mit einer guten Corona-Performance gute Trümpfe in der Hand, in der ewigen Föderalismusdebatte mit dem Bund zu punkten. Der muss zur Kenntnis nehmen, dass Zentralismus nicht unbedingt das Gelbe vom Ei sein muss – siehe Impfdesaster.
Fritz Stummer