Klangraum im Herbst – Basilika Sonntagberg. Gesualdo – Fürst, Mörder und Komponist
Rezitator Markus Hering und Elektronik-Performer Karlheinz Essl übertrugen vergangenen Samstag Schauderhaft-Blutrünstiges, aber auch Licht im Dunkel der Renaissance um Neapel in
die hallende Kirche am Sonntagberg.
Wie ein ferner Schatten erscheint uns der begnadete Komponist und Erbe des Fürstenhauses Gesualdo in Neapel vor 500 Jahren, und doch ist er uns auch sehr nah. Die Corona-Zeit hat viele Menschen auf sich selbst zurückfallen lassen. Kontemplative Spuren von damals (2021) sind vereinzelt geblieben. Man merkt das in so manchen Lebensbereichen. Am Samstag, dem 28. Oktober, haben sich interessierte Musikfreunde in der Basilika Sonntagberg im Heiligen Grab, eine kleine Kapelle seitlich hinter dem Altarbereich, eingefunden, um Einspielungen aus Gesualdos Kompositionen zu lauschen. Eine Musik, die irgendwie ewiglich tönt, weiträumig, ruhig, in langen Bögen sich verschlingenden Stimmen. Gesualdos Madrigale, kontemplative, mehrstimmige Vokalmusik, erklang als musikalische Einstimmung vor dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn. Das Madrigal ist eine wichtige Gesangsform der Renaissance und des Frühbarock. Einer der herausragenden Komponisten ist Gesualdo, Fürst von Venosa, der unter anderem eindrucksvolle, ja zukunftsweisende 144 Madrigale hinterlassen hat. Zu Gast bei der Hauptveranstaltung waren Komponist Karlheinz Essl, der Gesualdo-Fragmente in elektronische Soundperformance umsetzte, und Burgschauspieler Markus Hering, der eindringlich und einfühlsam und voller Empathie signifikante, ja schauerlich-gruselige Passagen aus Gesualdos Biografie las und diesen für uns wieder zum Leben erweckte. Sie schufen eine Brücke aus der Geschichte einer fernen Repertoire-Vergangenheit ins Heute. Sie hat etwas Unsterbliches, Zeitloses und berückt total. Schauderhaftes, Grauenvolles, Entsetzliches bis zum Doppelmord sind Inhalte, die erschüttern lassen. Diese Geschichte wühlt auf. Aber nicht nur die Geschichte von damals ist es, die uns erschüttert, die Gegenwart genauso schreckt vor Ungemach und Missetaten, Folter, Mord und Totschlag nicht zurück. Pater Franz Hörmann deutete darauf hin in seiner Einführungsrede! Während der Veranstaltung drängt sich in mir eine Frage von besonders luzider (klarer) Intimität auf. Warum wird das alles in einer Kirche aufgeführt, noch dazu in der riesigen Barockbasilika Sonntagberg? Nun ja, Spendenaufruf für Turmrenovierung kann es nicht allein sein. Da steckt doch mehr dahinter, glaube ich. Und schon sind wir beim Glauben. Klangflächen/Soundscape, Lautenklänge und verzerrte Dialogsequenzen durchfluten den Kirchenraum und bringen die vom Wind der Geschichte verwehten Manifeste uns zu Gehör. Was in der Renaissance vielleicht dingliche Musik war oder auch sakrale, wird bei Karlheinz Essl abstrakt, obwohl sie dient, weil sie den Glauben beschwört, so meine ich, eine höhere Macht anruft und die Existenz auf Erden leichter machen möchte. Gesualdos Kompositionen mögen durchwegs weltlich sein, wie es Madrigale damals waren, aber dennoch rufen sie eine höhere Macht an. So mein Eindruck. Damals wie heute: Man mag diese Macht Gott nennen. Wir müssen das aber nicht. Wir konnten uns auch einfach von diesen schwebenden, artifiziellen Tönen davontragen lassen beim meditativen Schweifen durchs kathedrale Barockgepränge.
Robert Voglhuber
