Großartiges Eröffnungskonzert des diesjährigen Klangraums im Herbst
Unter dem programmatischen Titel „Silence, ein Tag mit John Cage“ begann das Abendkonzert mit einem Podiumsgespräch. Moderator Christian Scheib, der neben seinen Funktionen im ORF, z. B. Leiter des RSO Wien, auch langjähriger Programmdirektor des Musikprotokolls im Steirischen Herbst war, führte das Gespräch mit Markus Hinterhäuser und dem Pianisten des Abends Pierre Laurent Aimard. Hinterhäuser, selbst Pianist und als Programmdirektor der Salzburger Festspiele Veranstalter vieler John Cage-Konzerte, sieht in John Cage weniger einen Komponisten als ein philosophisches Universum. Die Stille ist für Cage schon früh ein zentrales Thema, erst Jahrzehnte später sprach etwa Hermann Markus Pressl von der Stille als dem heiligen Nichts. Das titelgebende Buch „Silence“ von John Cage wurde als großartiger Text der Avantgarde erwähnt, dem es gelingt, dieses Universum etwas aufzuschließen. 1962 erschienen, ist seit den 90er-Jahren eine hervorragende Übersetzung von Ernst Jandl auf Deutsch erhältlich. Pierre Laurent Aimard sprach von seiner Schwierigkeit, wegweisende musikalische Konzepte von John Cage in befriedigende klangliche Ergebnisse umzusetzen, um abschließend seine Programmgestaltung des Abend zu erläutern. Aimards intelligente Werkzusammenstellung der Komponisten Charles Ives, Pierre Boulez, Helmut Lachenmann, György Kurtag und natürlich John Cage ließ das Publikum vor allem die Befreiung des Klaviers aus den Fesseln der Romantik nachhören. Eindrucksvoll, wie die Komponisten das Klavier aus dem gewohnten Umfeld der Bedienung und des Klanges herauslösen. Musikalische Ideen werden wie Gedichte in kürzest mögliche Gesten destilliert, John Cage, Seven Haiku, mit zwei Visitenkarten wird über die Tasten und andere Teile des Klaviers gestrichen, ohne einen traditionellen Klavierton zu produzieren, Helmut Lachenmann, Guero, oder es wird überhaupt ganz im Inneren des Klaviers mit allerhand Schlägeln und Zupferei gewerkt, wo dann die wenigen konventionell angeschlagenen Akkorde wie Fremdkörper klingen.
Im Zentrum des Abends stand Cages 4’33”, eine Komposition in drei Sätzen, die zwar eine zeitliche Dauer vorgegeben haben, aber der Pianist oder die Pianistin darf keinen Ton spielen. 70 Jahre nach der Uraufführung des Stückes und Tausenden Aufführungen seither ist das Konzept des Werkes unverständlch geworden. Einerseits ist hier das Hören der Stille gefordert, andererseits werden die Geräusche des Publikums, sei es erheitert, erbost oder einfach unaufmerksam, ihrerseits zur Musik. Eines der vielen Beispiele, in denen John Cage die Verantwortung zur jeweiligen Realisierung seiner Kompositionen den Interpretierenden übergibt. Mit 4’33” macht er das Publikum zu seinem Orchester.
Der Klangzauberer Aimard, einerseits Spezialist für zeitgenössische Musik, ist aber auch durch die Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt bekannt geworden. Eine gar nicht seltene Kombination von Ausführenden, die die Klänge der alten und neuen Musik gleichermaßen erforschen.
Aimard versteht es mit minimalen Gesten das Klavier zu einem (so noch) nie gehörten Instrument zu machen.
Er versteht es, durch Nuancen des einfachen Hebens eines Fingers den Klang noch bis zu seiner Unhörbarkeit zu beeinflussen und das Publikum zu konzentriertem Hören einzuladen.
Immer wieder höre ich nach dem Konzert, wie glücklich wir uns in Waidhofen schätzen können, dass Intendant Thomas Bieber so großartige Künstlerinnen und Künstler mit herausragenden Programmideen in die Ybbstalmetropole bringt.
Helge M. Stiegler